Rai­ner Maria Ril­ke – Das Buch der Bil­der 2/1

Initia­le

Gieb dei­ne Schön­heit immer hin ohne Rech­nen und Reden.
Du schweigst. Sie sagt für dich: Ich bin. Und kommt in tau­send­fa­chem Sinn, kommt end­lich über jeden.

Ver­kün­di­gung

Die Wor­te des Engels
Du bist nicht näher an Gott als wir; wir sind ihm alle weit.
Aber wun­der­bar sind dir die Hän­de bene­deit.
So rei­fen sie bei kei­ner Frau, so schim­mernd aus dem Saum:
ich bin der Tag, ich bin der Tau, du aber bist der Baum.
Ich bin jetzt matt, mein Weg war weit, ver­gieb mir,
ich ver­gaß, was Er, der groß in Gold­ge­schmeid wie in der Son­ne saß,
dir kün­den ließ, du Sin­nen­de, (ver­wirrt hat mich der Raum).
Sieh: ich bin das Begin­nen­de, du aber bist der Baum.
Ich spann­te mei­ne Schwin­gen aus und wur­de selt­sam weit;
jetzt über­fließt dein klei­nes Haus von mei­nem gro­ßen Kleid.
Und den­noch bist du so allein wie nie und schaust mich kaum; das macht:
ich bin ein Hauch im Hain, du aber bist der Baum.
Die Engel alle ban­gen so, las­sen ein­an­der los: noch nie war das Ver­lan­gen so, so unge­wiß und groß.
Viel­leicht, daß Etwas bald geschieht, das du im Traum begreifst.
Gegrüßt sei, mei­ne See­le sieht: du bist bereit und reifst.
Du bist ein gro­ßes, hohes Tor, und auf­gehn wirst du bald.
Du, mei­nes Lie­des liebs­tes Ohr, jetzt füh­le ich: mein Wort ver­lor sich in dir wie im Wald.
So kam ich und voll­ende­te dir tau­send­ei­nen Traum.
Gott sah mich an; er blendete…


Du aber bist der Baum.

Die hei­li­gen drei Könige

Legen­de

Einst als am Saum der Wüs­ten sich auf­tat die Hand des Herrn wie eine Frucht, die som­mer­lich ver­kün­det ihren Kern,
da war ein Wun­der: Fern erkann­ten und begrüß­ten sich drei Köni­ge und ein Stern.
Drei Köni­ge von Unter­wegs und der Stern Über­all, die zogen alle (über­legs!)
so rechts ein Rex und links ein Rex zu einem stil­len Stall.
Was brach­ten die nicht alles mit zum Stall von Beth­le­hem!
Weit­hin erklirr­te jeder Schritt, und der auf einem Rap­pen ritt, saß sam­ten und bequem.
Und der zu sei­ner Rech­ten ging, der war ein gold­ner Mann,
und der zu sei­ner Lin­ken fing mit Schwung und Schwing und Klang und Kling aus einem run­den Sil­ber­ding,
das wie­gend und in Rin­gen hing, ganz blau zu rau­chen an.
Da lach­te der Stern Über­all so selt­sam über sie, und lief vor­aus und stand am Stall und sag­te zu Marie:
Da bring ich eine Wan­der­schaft aus vie­ler Frem­de her.
Drei Köni­ge mit magen­kraft*, von Gold und Topas schwer und dun­kel, tumb und hei­den­haft, -
erschrick mir nicht zu sehr.
Sie haben alle drei zuhaus zwölf Töch­ter, kei­nen Sohn,
so bit­ten sie sich dei­nen aus als Son­ne ihres Him­mel­b­laus und Trost für ihren Thron.
Doch mußt du nicht gleich glau­ben: bloß ein Fun­kel­fürst und Hei­den­scheich sei dei­nes Soh­nes Los.
Bedenk, der Weg ist groß. Sie wan­dern lan­ge, Hir­ten gleich, inzwi­schen fällt ihr rei­fes Reich weiß Gott wem in den Schooß.
Und wäh­rend hier, wie West­wind warm, der Ochs ihr Ohr umschnaubt, sind sie viel­leicht schon alle arm und so wie ohne Haupt.
Drum mach mit dei­nem Lächeln licht die Wirr­nis, die sie sind, und wen­de du dein Ange­sicht nach Auf­gang und dein Kind;
dort liegt in blau­en Lini­en, was jeder dir ver­ließ: Sma­rag­da und Rubi­ni­en und die Tale von Türkis.

*mit­tel­hoch­deutsch: «Macht» (RMR)

In der Certosa

Ein jeder aus der wei­ßen Bru­der­schaft ver­traut sich pflan­zend sei­nem klei­nen Gar­ten.
Auf jedem Bee­te steht, wer jeder sei.
Und Einer harrt in heim­li­chen Hof­fahr­ten, daß ihm im Mai die unge­stü­men Blü­ten offen­bar­ten ein Bild von sei­ner unter­drück­ten Kraft.
Und sei­ne Hän­de hal­ten, wie erschlafft, sein brau­nes Haupt,
das schwer ist von den Säf­ten, die unge­dul­dig durch das Dun­kel rol­len,
und sein Gewand, das fal­tig, voll und wol­len, zu sei­nen Füßen fließt,
ist stramm gestrafft um sei­nen Armen, die, gleich star­ken Schäf­ten, die Hän­de tra­gen, wel­che träu­men sol­len.
Kein Mise­re­re und kein Kyrie will sei­ne jun­ge, run­de Stim­me ziehn, vor kei­nem Flu­che will sie fliehn:
sie ist kein Reh. Sie ist ein Roß und bäumt sich im Gebiß,
und über Hür­de, Hang und Hin­der­nis will sie ihn tra­gen,
weit und weg­ge­wiß, ganz ohne Sat­tel will sie tra­gen ihn.
Er aber sitzt, und unter den Gedan­ken zer­bre­chen fast die brei­ten Hand­ge­len­ke,
so schwer wird ihm der Sinn und immer schwe­rer.
Der Abend kommt, der sanf­te Wie­der­keh­rer, ein Wind beginnt,
die Wege wer­den lee­rer, und Schat­ten sam­meln sich im Tal­ge­sen­ke.
Und wie ein Kahn, der an der Ket­te schwankt,so
wird der Gar­ten unge­wiß und hangt wie wind­ge­wiegt auf lau­ter Däm­me­rung. Wer löst ihn los?…
Der Fra­te ist so jung, und lan­ge­lang ist sei­ne Mut­ter tot.
Er weiß von ihr: sie nann­ten sie La Stanca sie war ein Glas, ganz zart und klar.
Man bot es einem, der es nach dem Trunk zer­schlug wie einen Krug.
So ist der Vater. Und er hat sein Brot als Meis­ter in den roten Mar­mor­brü­chen.
Und jede Wöch­ne­rin in Pie­tra­bi­an­ca hat Furcht,
daß er des Nachts mit sei­nen Flü­chen vor­bei an ihrem Fens­ter kommt und droht.
Sein Sohn, den er der Don­na Dolo­ro­sa geweiht in einer Stun­de wil­der Not,
sinnt im Arka­den­ho­fe der Cer­to­sa,
sinnt, wie umrauscht von röt­li­chen Gerü­chen: denn sei­ne Blu­men blü­hen alle rot.

Das jüngs­te Gericht

Aus den Blät­tern eines Mönches

Sie wer­den Alle wie aus einem Bade aus ihren mür­ben Grüf­ten auf­er­stehn;
denn alle glau­ben an das Wie­der­sehn, und furcht­bar ist ihr Glau­ben, ohne Gna­de.
Sprich lei­se, Gott! Es könn­te einer mei­nen, daß die Posau­ne dei­ner Rei­che rief;
und ihrem Ton ist kei­ne Tie­fe tief: da stei­gen alle Zei­ten aus den Stei­nen,
und alle die Ver­schol­le­nen erschei­nen in wel­ken Lei­nen, brü­chi­gen Gebei­nen und von der Schwe­re ihrer Schol­len schief.
Das wird ein wun­der­li­ches Wie­der­keh­ren in eine wun­der­li­che Hei­mat sein;
auch die dich nie­mals kann­ten, wer­den schrein und dei­ne Grö­ße wie ein Recht begeh­ren: wie Brot und Wein.
All­schau­en­der, du kennst das wil­de Bild, das ich in mei­nem Dun­kel zit­ternd dich­te.
Durch dich kommt Alles, denn du bist das Tor, – und Alles war in dei­nem Ange­sich­te, eh es in unserm sich ver­lor.
Du kennst das Bild vom rie­si­gen Gerich­te:
Ein Mor­gen ist es, doch aus einem Lich­te, das dei­ne rei­fe Lie­be nie erschuf,
ein Rau­schen ist es, nicht aus dei­nem Ruf, ein Zit­tern, nicht von gött­li­chem Ver­zich­te,
ein Schwan­ken, nicht in dei­nem Gleich­ge­wich­te.
Ein Rascheln ist und ein Zusam­men­raf­fen in allen den gebors­te­nen Gebäu­den,
ein Sichent­gel­ten und ein Sich­ver­geu­den, ein Sich­be­gat­ten und ein Sich­be­gaf­fen,
und ein Betas­ten aller alten Freu­den und aller Lüs­te wel­ke Wie­der­kehr. Und über Kir­chen, die wie Wun­den klaf­fen,
ziehn schwar­ze Vögel, die du nie erschaf­fen, in irren Zügen hin und her.
So rin­gen sie, die lan­ge Aus­ge­ruh­ten, und packen sich mit ihren nack­ten Zäh­nen und wer­den ban­ge,
weil sie nicht mehr blu­ten und suchen, wo die Augen­be­cher gäh­nen, mit kal­ten Fin­gern nach den toten Trä­nen.
Und wer­den müde. Weni­ge Minu­ten nach ihrem Mor­gen bricht ihr Abend ein.
Sie wer­den ernst und las­sen sich allein und sind bereit, im Stur­me auf­zu­stei­gen,
wenn sich auf dei­ner Lie­be hei­trem Wein die dunk­len Trop­fen dei­nes Zor­nes zei­gen, um dei­nem Urteil nah zu sein.
Und da beginnt es, nach dem gro­ßen Schrein: das über­gro­ße fürch­ter­li­che Schwei­gen.
Sie sit­zen alle wie vor schwar­zen Türen in einem Licht, das sie, wie mit Geschwü­ren, mit vie­len grel­len Fle­cken über­sät.
Und wach­send wird der Abend alt und spät.
Und Näch­te fal­len dann in gro­ßen Stü­cken auf ihre Hän­de und auf ihren Rücken, der wan­kend sich mit schwar­zer Last belädt.
Sie war­ten lan­ge. Ihre Schul­tern schwan­ken unter dem Dru­cke wie ein dunk­les Meer,
sie sit­zen, wie ver­sun­ken in Gedan­ken, und sind doch leer.
Was stüt­zen sie die Stir­nen? Ihre Gehir­ne den­ken irgend­wo tief in der Erde, ein­ge­fal­len, fal­tig:
Die gan­ze alte Erde denkt gewal­tig, und ihre gro­ßen Bäu­me rau­schen so.
All­schau­en­der, gedenkst du die­ses blei­chen Und ban­gen Bil­des, das nicht sei­nes­glei­chen unter den Bil­dern dei­nes Wil­lens hat?
Hast du nicht Angst vor die­ser stum­men Stadt, die, an dir hang­end wie ein wel­kes Blatt, sich heben will zu dei­nes Zor­nes Zei­chen?
O, grei­fe allen Tagen in die Spei­chen, daß sie zu bald nicht die­sem Ende nahen,
viel­leicht gelingt es dir noch aus­zu­wei­chen dem gro­ßen Schwei­gen, das wir bei­de sahen.
Viel­leicht kannst du noch einen aus uns heben, der die­sem fürch­ter­li­chen Wie­der­le­ben den Sinn,
die Sehn­sucht und die See­le nimmt, einen, der bis in sei­nen Grund ergrimmt und den­noch froh, durch alle Din­ge schwimmt,
der Kräf­te unbe­küm­mer­ter Ver­brau­cher,
der sich auf allen Sai­ten geigt und unver­sehrt als uner­kann­ter Tau­cher in alle Tode nie­der­steigt.
….. Oder, wie hoffst du die­sen Tag zu tra­gen,
der län­ger ist als aller Tage Län­gen, mit sei­nes Schwei­gens schreck­li­chen Gesän­gen,
wenn dann die Engel dich, wie lau­ter Fra­gen, mit ihrem schau­er­li­chen Flü­gel­schla­gen umdrän­gen?
Sieh, wie sie zit­ternd in den Schwin­gen hän­gen und dir mit hun­dert­tau­send Augen kla­gen,
und ihres sanf­ten Lie­des Stim­men wagen sich aus den vie­len wir­ren Über­gän­gen nicht mehr zu heben zu den kla­ren Klän­gen.
Und wenn die Grei­se mit den brei­ten Bär­ten, die dich berie­ten bei den bes­ten Sie­gen,
nur lei­se ihre wei­ßen Häup­ter wie­gen, und wenn die Frau­en, die den Sohn dir nähr­ten,
und die von ihm Ver­führ­ten, die Gefähr­ten, und alle Jung­fraun, die sich ihm gewähr­ten:
die lich­ten Bir­ken dei­ner dunk­len Gär­ten, – wer soll dir hel­fen, wenn sie alle schwie­gen?
Und nur dein Sohn erhü­be sich unter denen, wel­che sit­zen um dei­nen Thron.
Grü­be sich dei­ne Stim­me dann in sein Herz?
Sag­te dein ein­sa­mer Schmerz dann: Sohn! Such­test du dann das Ange­sicht des­sen,
der das Gericht geru­fen, dein Gericht und dei­nen Thron: Sohn!
Hie­ßest du, Vater, dann dei­nen Erben, lei­se beglei­tet von Mag­da­le­nen, nie­der­stei­gen zu jenen, die sich seh­nen, wie­der zu ster­ben?
Das wäre dein letz­ter Königs­er­laß, die letz­te Huld und der letz­te Haß.
Aber dann käme Alles zu Ruh: der Him­mel und das Gericht und du.
Alle Gewän­der des Rät­sels der Welt, das sich so lan­ge ver­schlei­ert hält, fal­len mit die­ser Span­ge. ….
Doch mir ist ban­ge….
All­schau­en­der, sieh, wie mir ban­ge ist, miß mei­ne Qual!
Mir ist ban­ge, daß du schon lan­ge ver­gan­gen bist.
Als du zum ersten­mal in dei­nem Alle­ser­fas­sen das Bild die­ses blas­sen Gerich­tes sahst, dem du dich hül­f­los nahst, All­schau­en­der.
Bist du damals ent­flohn? Wohin?
Ver­trau­en­der kann kei­ner dir kom­men als ich, der ich dich nicht um Lohn ver­ra­ten will wie alle die From­men.
Ich will nur, weil ich ver­bor­gen bin und müde wie du, noch müder viel­leicht,
und weil mei­ne Angst vor dem gro­ßen Gericht dei­ner gleicht, will ich mich dicht, Gesicht bei Gesicht, an dich hef­ten;
mit eini­gen Kräf­ten wer­den wir weh­ren dem gro­ßen Rade,
über wel­ches die mäch­ti­gen Was­ser gehn, die rau­schen und schnau­ben
denn: wehe, sie wer­den auf­er­stehn. So ist ihr Glau­ben: groß und ohne Gnade.

Karl der zwölf­te von Schwe­den rei­tet in der Ukraine

Köni­ge in Legen­den sind wie Ber­ge im Abend. Blen­den jeden, zu dem sie sich wen­den.
Die Gur­te! um ihre Len­den und die las­ten­den Man­te­len­den sind Län­der und Leben wert.
Mit den reich­ge­klei­de­ten Hän­den geht, schlank und nackt, das Schwert.
Ein jun­ger König aus Nor­den war in der Ukrai­ne geschla­gen.
Der haß­te Früh­ling und Frau­en­haar und die Har­fen und was sie sagen.
Der ritt auf einem grau­en Pferd, sein Auge schau­te grau und hat­te nie­mals Glanz begehrt zu Füßen einer Frau.
Kei­ne war sei­nem Bli­cke blond, kei­ne hat küs­sen ihn gekonnt;
und wenn er zor­nig war, so riß er einen Per­len­mond aus wun­der­schö­nem Haar.
Und wenn ihn Trau­er über­kam, so mach­te er ein Mäd­chen zahm und forsch­te, wes­sen Ring sie nahm und wem sie ihren bot
und: hetz­te ihr den Bräu­ti­gam mit hun­dert Hun­den tot.
Und er ver­ließ sein grau­es Land, das ohne Stim­me war,
und ritt in einen Wider­stand und kämpf­te um Gefahr, bis ihn das Wun­der über­wand:
wie träu­mend ging ihm sei­ne Hand von Eisen­band zu Eisen­band und war kein Schwert dar­in;
er war zum Schau­en auf­ge­wacht: es schmei­chel­te die schö­ne Schlacht um sei­nen Eigen­sinn.
Er saß zu Pfer­de: ihm ent­ging kei­ne Gebär­de rings.
Auf Sil­ber sprach jetzt Ring zu Ring, und Stim­me war in jedem Ding, und wie in vie­len Glo­cken hing die See­le jedes Dings.
Und auch der Wind war anders groß, der in die Fah­nen sprang,
schlank wie ein Pan­ther, atem­los und tau­melnd vom Trom­pe­ten­stoß, der lachend mit ihm rang.
Und manch­mal griff der Wind hin­ab: da ging ein Blu­ten­der,
ein Knab, wel­cher die Trom­mel schlug; er trug sie immer auf und ab und trug sie wie sein Herz ins Grab vor sei­nem toten Zug.
Da wur­de man­cher Berg geballt, als war die Erde noch nicht alt und bau­te sich erst auf;
bald stand das Eisen wie Basalt, bald schwank­te wie ein Abend­wald mit brei­ter stei­gen­der Gestalt der groß­be­weg­te Hauf.
Es dampf­te dumpf die Dun­kel­heit, was dun­kel­te war nicht die Zeit,
und alles wur­de grau, aber schon fiel ein neu­es Scheit, und wie­der ward die Flam­me breit und fest­lich ange­facht.
Sie grif­fen an: in frem­der Tracht ein Schwarm phan­tas­ti­scher Pro­vin­zen;
wie alles Eisen plötz­lich lacht: von einem sil­ber­lich­ten Prin­zen erschim­mer­te die Abend­schlacht.
Die Fah­nen flat­ter­ten wie Freu­den, und Alle hat­ten könig­lich in ihren Ges­ten ein Ver­geu­den,
an fer­nen flam­men­den Gebäu­den ent­zün­de­ten die Ster­ne sich…
Und Nacht war.
Und die Schlacht trat sach­te zurück wie ein sehr müdes Meer, das vie­le frem­de Tote brach­te, und alle Toten waren schwer.
Vor­sich­tig ging das graue Pferd (von gro­ßen Fäus­ten abge­wehrt) durch Män­ner, wel­che fremd ver­star­ben,
und trat auf fla­ches, schwar­zes Gras.
Der auf dem grau­en Pfer­de saß, sah unten auf den feuch­ten Far­ben viel Sil­ber wie zer­schell­tes Glas.
Sah Eisen wel­ken, Hel­me trin­ken und Schwer­ter stehn in Pan­zer­naht,
ster­ben­de Hän­de sah er win­ken mit einem Fet­zen von Bro­kat…
Und sah es nicht.
Und ritt dem Lär­me der Feld­schlacht nach, als ob er schwär­me, mit sei­nen Wan­gen vol­ler Wär­me und mit den Augen von Verliebten…

Der Sohn

Mein Vater war ein ver­bann­ter König von überm Meer.
Ihm kam ein­mal ein Gesand­ter: sein Man­tel war ein Pan­ther, und sein Schwert war schwer.
Mein Vater war wie immer ohne Helm und Her­me­lin; es dun­kel­te das Zim­mer wie immer arm um ihn.
Es zit­ter­ten sei­ne Hän­de und waren blaß und leer, – in bil­der­lo­se Wän­de blick­los schau­te er.
Die Mut­ter ging im Gar­ten und wan­del­te weiß im Grün, und woll­te den Wind erwar­ten vor dem Abend­glühn.
Ich träum­te, sie wür­de mich rufen, aber sie ging allein,
ließ mich vom Ran­de der Stu­fen hor­chen ver­hal­len­den Hufen und ins Haus hin­ein:
Vater! Der frem­de Gesand­te…? Der rei­tet wie­der im Wind… Was woll­te der?
Er erkann­te dein blon­des Haar, mein Kind. Vater! Wie war er geklei­det!
Wie der Man­tel von ihm floß! Geschmie­det und geschmei­det war Schul­ter, Brust und Roß.
Er war eine Stim­me im Stah­le, er war ein Mann aus Nacht, – aber er hat eine schma­le Kro­ne mit­ge­bracht.
Sie klang bei jedem Schrit­te an sein sehr schwe­res Schwert, die Per­le in ihrer Mit­te ist vie­le Leben wert.
Vom zor­ni­gen Ergrei­fen ver­bo­gen ist der Rei­fen, der oft gefal­len war:
es ist eine Kin­der­kro­ne, – denn Köni­ge sind ohne; – gieb sie mei­nem Haar!
Ich will sie manch­mal tra­gen in Näch­ten, blaß vor Scham.
Und will dir, Vater, sagen, woher der Gesand­te kam.
Was dort die Din­ge gel­ten, ob stei­nern steht die Stadt, oder ob man in Zel­ten mich erwar­tet hat.
Mein Vater war ein Gekränk­ter und kann­te nur wenig Ruh.
Er hör­te mir mit ver­häng­ter Stir­ne näch­te­lang zu. Mir lag im Haar der Ring.
Und ich sprach ganz nahe und sach­te, daß die Mut­ter nicht erwach­te,
die an das­sel­be dach­te, wenn sie, ganz weiß gelas­sen, vor abend­li­chen Mas­sen durch dunk­le Gar­ten ging.
… So wur­den wir ver­träum­te Gei­ger,
die lei­se aus den Türen tre­ten, um aus­zu­schau­en, eh sie beten, ob nicht ein Nach­bar sie belauscht.
Die erst, wenn alle sich zer­streu­ten, hin­ter dem letz­ten Abend­läu­ten,
die Lie­der spie­len, hin­ter denen (wie Wald im Wind hin­ter Fon­tä­nen) der dunk­le Gei­gen­kas­ten rauscht.
Denn dann nur sind die Stim­men gut, wenn Schweig­sam­kei­ten sie beglei­ten,
wenn hin­ter dem Gespräch der Sai­ten Geräu­sche blei­ben wie von Blut;
und bang und sinn­los sind die Zei­ten, wenn hin­ter ihren Eitel­kei­ten nicht etwas wal­tet, wel­ches ruht.
Geduld: es kreist der lei­se Zei­ger, und was ver­hei­ßen ward, wird sein:
Wir sind die Flüs­trer vor dem Schwei­ger,
wir sind die Wie­sen vor dem Hain; in ihnen geht noch dunk­les Sum­men
(viel Stim­men sind und doch kein Chor) und sie berei­ten auf die stum­men tie­fen hei­li­gen Hai­ne vor…

Die Zaren

Ein Gedicht-Kreis (1899 und 1906)

I
Das war in Tagen, da die Ber­ge kamen: die Bäu­me bäum­ten sich, die noch nicht zah­men,
und rau­schend in die Rüs­tung stieg der Strom.
Zwei frem­de Pil­ger rie­fen einen Namen, und auf­ge­wacht aus sei­nem lan­gen Lah­men war Ili­ja, der Rie­se von Murom.
Die alten Eltern bra­chen in den Äckern an Stei­nen ab und an dem wil­den Wuchs;
da kam der Sohn, ganz groß, von sei­nen Weckern und zwang die Fur­chen in die Furcht des Pflugs.
Er hob die Stäm­me, die wie Strei­ter stan­den, und lach­te ihres wan­ken­den Gewichts,
und auf­ge­stört wie schwar­ze Schlan­gen wan­den die Wur­zeln,
wel­che nur das Dun­kel kann­ten, sich in dem brei­ten Griff des Lichts.
Es stärk­te sich im frü­hen Tau die Mäh­re, in deren Adern Kraft und Adel schlief; sie reif­te unter ihres Rei­ters Schwe­re,
ihr Wie­hern war wie eine Stim­me tief, – und bei­de fühl­ten, wie das Unge­fäh­re sie mit ver­hei­ßen­den Gefah­ren rief.
Und rei­ten, rei­ten… viel­leicht tau­send Jah­re.
Wer zählt die Zeit, wenn ein­mal Einer will. (Viel­leicht saß er auch tau­send Jah­re still.)
Das Wirk­li­che ist wie das Wun­der­ba­re: es mißt die Welt mit eigen­mäch­ti­gen Maßen;
Jahr­tau­sen­de sind ihm zu jung.
Weit schrei­ten wer­den, wel­che lan­ge saßen in ihrer tie­fen Dämmerung.

II
Noch dro­hen gro­ße Vögel allent­hal­ben, und Dra­chen glühn und hüten über­all der Wäl­der Wun­der und der Schluch­ten Fall;
und Kna­ben wach­sen an, und Män­ner sal­ben sich zu dem Kamp­fe mit der Nach­ti­gall,
die oben in den Kro­nen von neun Eichen sich lagert wie ein tau­send­fa­ches Tier,
Und abends geht ein Schrei­en ohne­glei­chen, ein schrei­en­des Bis-an-das-Ende-Rei­chen, und geht die gan­ze Nacht lang aus von ihr;
die Früh­lings­nacht, die schreck­li­cher als alles und schwe­rer war und ban­ger zu bestehn:
rings­um kein Zei­chen eines Über­fal­les und den­noch alles vol­ler Über­gehn,
hin­wer­fend sich und Stück für Stück sich gebend, ja jenes Etwas, wel­ches um sich griff;
anru­fend noch, am gan­zen Lei­be bebend und dar­in unter­ge­hend wie ein Schiff.
Das waren Über­star­ke, die da blie­ben, von die­sem Rie­si­gen nicht auf­ge­rie­ben,
das aus den Keh­len wie aus Kra­tern brach; sie dau­er­ten,
und alternd nach und nach begrif­fen sie die Bang­nis der Aprile,
und ihre ruhi­gen Hän­de hiel­ten vie­le und führ­ten sie durch Furcht und Unge­mach zu Tagen,
da sie fro­her und gesün­der die Mau­ern bau­ten um die Städ­te­grün­der, die über allem gut und kun­dig saßen.
Und schließ­lich kamen auf den ers­ten Stra­ßen aus Höh­len und ver­haß­ten Hin­ter­hal­ten die Tie­re, die für uner­bitt­lich gal­ten.
Sie stie­gen still aus ihren Über­ma­ßen (beschäm­te und ver­al­te­te Gewal­ten) und leg­ten sich gehor­sam vor die Alten.

III
Sei­ne Die­ner füt­tern mit mehr und mehr ein Rudel von jenen wil­den Gerüch­ten, die auch noch Er sind, alles noch Er.
Sei­ne Günst­lin­ge flüch­ten vor ihm her.
Und sei­ne Frau­en flüs­tern und stif­ten Bün­de.
Und er hört sie ganz innen in ihren Gemä­chern mit Die­ne­rin­nen, die sich scheu umsehn, spre­chen von Gif­ten.
Alle Wän­de sind hohl von Schrän­ken und Fächern, Mör­der ducken unter den Dächern und spie­len Mön­che mit viel Geschick.
Und er hat nichts als einen Blick dann und wann;
als den lei­sen Schritt auf den Trep­pen die krei­sen; nichts als das Eisen an sei­nem Stock.
Nichts als den dürf­ti­gen Büßer­rock (durch den die Käl­te aus den Flie­sen an ihm hin­auf­kriecht wie mit Kral­len) nichts,
was er zu rufen wagt, nichts als die Angst vor allen die­sen,
nichts als die täg­li­che Angst vor Allen, die ihn jagt durch die­se gejag­ten Gesich­ter,
an dunk­len unge­frag­ten viel­leicht schul­di­gen Hän­den ent­lang.
Manch­mal packt er Einen im Gang gra­de noch an des Man­tels Fal­ten, und er zerrt ihn zor­nig her;
aber im Fens­ter weiß er nicht mehr: wer ist Hal­ten­der? Wer ist gehal­ten? Wer bin ich und wer ist der?

IV
Es ist die Stun­de, da das Reich sich eitel in sei­nes Glan­zes vie­len Spie­geln sieht.
Der blas­se Zar, des Stam­mes letz­tes Glied, träumt auf dem Thron, davor das Fest geschieht,
und lei­se zit­tert sein beschäm­ter Schei­tel und sei­ne Hand,
die vor den Pur­pur­leh­nen mit einem unbe­stimm­ten Seh­nen ins wir­re Unge­wis­se flieht.
Und um sein Schwei­gen nei­gen sich Boja­ren in blan­ken Pan­zern und in Pan­ther­fel­len,
wie vie­le frem­de fürst­li­che Gefah­ren, die ihn mit stum­mer Unge­duld umstel­len. Tief in den Saal schlägt ihre Ehr­furcht Wel­len.
Und sie geden­ken eines andern Zaren, der oft mit Wor­ten, die aus Wahn­sinn waren, ihnen die Stir­nen an die Stei­ne stieß.
Und den­ken also wei­ter: jener ließ nicht so viel Raum, wenn er zu Thro­ne saß, auf dem ver­welk­ten Samt des Kis­sens leer.
Er war der Din­ge dunk­les Maß, und die Boja­ren wuß­ten lang nicht mehr,
daß rot der Sitz des Ses­sels sei, so schwer lag sein Gewand und wur­de gol­den breit.
Und wei­ter den­ken sie: das Kai­ser­kleid schläft auf den Schul­tern die­ses Kna­ben ein.
Obgleich im gan­zen Saal die Fackeln fla­cken, sind bleich die Per­len, die in sie­ben Reihn,
wie wei­ße Kin­der, knien um sei­nen Nacken, und die Rubi­ne an den Ärmel­za­cken,
die einst Poka­le waren, klar von Wein, sind schwarz wie Schla­cken -
Und ihr Den­ken schwillt.
Es drängt sich hef­tig an den blas­sen Kai­ser, auf des­sen Haupt die Kro­ne immer lei­ser und dem der Wil­le immer frem­der wird;
er lächelt. Lau­ter prü­fen ihn die Prei­ser, ihr Nei­gen nähert sich, sie schmei­cheln hei­ser. – und eine Klin­ge hat im Traum geklirrt.

V
Der blas­se Zar wird nicht am Schwer­te ster­ben, die frem­de Sehn­sucht macht ihn sakro­sankt;
er wird die fei­er­li­chen Rei­che erben, an denen sei­ne sanf­te See­le krankt.
Schon jetzt, hin­tre­tend an ein Kreml­fens­ter, sieht er ein Mos­kau, wei­ßer, unbe­grenz­ter, in sei­ne end­lich fer­ti­ge Nacht gewebt;
so wie es ist im ers­ten Früh­lings­wir­ken, wenn in den Gas­sen der Geruch aus Bir­ken von lau­ter Mor­gen­glo­cken bebt.
Die gro­ßen Glo­cken, die so her­risch lau­ten, sind sei­ne Väter, jene ers­ten Zaren,
die sich noch vor den Tagen der Tata­ren aus Sagen, Aben­teu­ern und Gefah­ren, aus Zorn und Demut zögernd auf­er­bau­ten.
Und er begreift auf ein­mal, wer sie waren,
und daß sie oft um ihres Dun­kels Sinn in sei­ne eig­nen Tie­fen nie­der­tauch­ten
und ihn, den Lei­ses­ten von den Erlauch­ten, in ihren Taten groß und fromm ver­brauch­ten schon lang vor sei­nem Anbe­ginn.
Und eine Dank­bar­keit kommt über ihn, daß sie ihn so ver­schwen­de­risch ver­ge­ben an aller Din­ge Durst und Drang.
Er war die Kraft zu ihrem Über­schwang, der gold­ne Grund, vor dem ihr brei­tes Leben geheim­nis­voll zu dun­keln schien.
In allen ihren Wer­ken schaut er sich, wie ein­ge­leg­tes Sil­ber in Zie­ra­ten,
und es gie­bt kei­ne Tat in ihren Taten, die nicht auch war in sei­nen stil­len Staa­ten, in denen alles Han­delns Rot verblich.

VI
Noch immer schau­en in den Sil­ber­plat­ten wie tie­fe Frau­en­au­gen die Saphi­re,
Gold­ran­ken schlin­gen sich wie schlan­ke Tie­re, die sich im Glan­ze ihrer Brüns­te gat­ten,
und sanf­te Per­len war­ten in dem Schat­ten wil­der Gebil­de, daß ein Schim­mer ihre stil­len Gesich­ter fin­de und ver­lie­re.
Und das ist Man­tel, Strah­len­kranz und Land, und ein Bewe­gen geht von Rand zu Rand,
wie Korn im Wind und wie ein Fluß im Tale, so glänzt es wech­selnd durch die Rah­men­wand.
In ihrer Son­ne dun­keln drei Ova­le: das gro­ße gie­bt dem Mut­terant­litz Raum,
und rechts und links hebt eine man­del­sch­ma­le Jung­frau­en­hand sich aus dem Sil­ber­saum.
Die bei­den Hän­de, selt­sam still und braun, ver­kün­den,
daß im köst­li­chen Iko­ne die König­li­che wie im Klos­ter woh­ne,
die über­flie­ßen wird von jenem Soh­ne, von jenem Trop­fen, drin­nen wol­ken­oh­ne die nie­ge­hoff­ten Him­mel blaun.
Die Hän­de zeu­gen noch dafür; aber das Ant­litz ist wie eine Tür in war­me Däm­me­run­gen auf­ge­gan­gen,
in die das Lächeln von den Gna­den­wan­gen mit sei­nem Lich­te irrend, sich ver­lor.
Da neigt sich tief der Zar davor und spricht:
Fühl­test Du nicht, wie sehr wir in Dich dran­gen mit allem Füh­len, Fürch­ten und Ver­lan­gen:
wir war­ten auf Dein lie­bes Ange­sicht, das uns ver­gan­gen ist; wohin ver­gan­gen?:
Den gro­ßen Hei­li­gen ver­geht es nicht.
Er beb­te tief in sei­nem stei­fen Kleid, das strah­lend stand.
Er wuß­te nicht, wie weit er schon von allem war, und ihrem Seg­nen wie selig nah in sei­ner Ein­sam­keit.
Noch sinnt und sinnt der blas­se Gos­su­dar.
Und sein Gesicht, das unterm kran­ken Haar schon lan­ge tief und wie im Fort­gehn war,
ver­ging, wie jenes in dem Gol­d­ova­le, in sei­nem gro­ßen gol­de­nen Talar. (Um ihrem Ange­sich­te zu begeg­nen.)
Zwei Gold­ge­wän­der schim­mer­ten im Saa­le und wur­den in dem Glanz der Ampeln klar.

Der Sän­ger singt vor dem Fürstenkind

em Andenken von Pau­la Becker-Modersohn

Du blas­ses Kind, an jedem Abend soll der Sän­ger dun­kel stehn bei dei­nen Din­gen
und soll dir Sagen, die im Blu­te klin­gen, über die Brü­cke sei­ner Stim­me brin­gen und eine Har­fe, sei­ner Hän­de voll.
Nicht aus der Zeit ist, was er dir erzählt, geho­ben ist es wie aus Wand­ge­we­ben;
sol­che Gestal­ten hat es nie gege­ben, – und Nie­ge­we­se­nes nennt er das Leben.
Und heu­te hat er die­sen Sang erwählt:
Du blon­des Kind von Fürs­ten und aus Frau­en, die ein­sam war­te­ten im wei­ßen Saal,
fast alle waren bang, dich auf­zu­bau­en, um aus den Bil­dern einst auf dich zu schau­en:
auf dei­ne Augen mit den erns­ten Brau­en, auf dei­ne Hän­de, hell und schmal.
Du hast von ihnen Per­len und Tür­ki­sen, von die­sen Frau­en, die in Bil­dern stehn als stün­den sie allein in Abend­wie­sen,
du hast von ihnen Per­len und Tür­ki­sen und Rin­ge mit ver­dun­kel­ten Devi­sen und Sei­den, wel­che wel­ke Düf­te wehn.
Du trägst die Gem­men ihrer Gür­tel­bän­der ans hohe Fens­ter in den Glanz der Stun­den,
und in die Sei­de sanf­ter Braut­ge­wän­der sind dei­ne klei­nen Bücher ein­ge­bun­den,
und drin­nen hast du, mäch­tig über Län­der, ganz groß geschrie­ben und mit rei­chen, run­den Buch­sta­ben dei­nen Namen vor­ge­fun­den.
Und alles ist, als wär es schon geschehn.
Sie haben so, als ob du nicht mehr kämst, an alle Becher ihren Mund gesetzt,
zu allen Freu­den ihr Gefühl gehetzt und kei­nem Lei­de leid­los zuge­sehn;
so daß du jetzt stehst und dich schämst. … Du blas­ses Kind, dein Leben ist auch eines,
der Sän­ger kommt dir sagen, daß du bist. Und daß du mehr bist als ein Traum des Hai­nes,
mehr als die Selig­keit des Son­nen­schei­nes, den man­cher graue Tag ver­gißt.
Dein Leben ist so unaus­sprech­lich Dei­nes, weil es von vie­len über­la­den ist.
Emp­fin­dest du, wie die Ver­gan­gen­hei­ten leicht wer­den, wenn du eine Wei­le lebst,
wie sie dich sanft auf Wun­der vor­be­rei­ten, jedes Gefühl mit Bil­dern dir beglei­ten,
und nur ein Zei­chen schei­nen gan­ze Zei­ten für eine Ges­te, die du schön erhebst. -
Das ist der Sinn von allem, was einst war, daß es nicht bleibt mit sei­ner gan­zen Schwe­re,
daß es zu unserm Wesen wie­der­keh­re, in uns ver­wo­ben, tief und wun­der­bar:
So waren die­se Frau­en elfen­bei­nern, von vie­len Rosen röt­lich ange­schie­nen,
so dun­kel­ten die müden Königs­mie­nen, so wur­den fah­le Fürs­ten­mun­de stei­nern und unbe­wegt von Wai­sen und von Wei­nern,
so klan­gen Kna­ben an wie Vio­li­nen und star­ben für der Frau­en schwe­res Haar;
so gin­gen Jung­fraun der Madon­na die­nen, denen die Welt ver­wor­ren war.
So wur­den Lau­ten laut und Man­do­li­nen, in die ein Unbe­kann­ter grö­ßer griff,in war­men Samt ver­lief der Dol­che Schliff,
Schick­sa­le bau­ten sich aus Glück und Glau­ben, Abschie­de schluchz­ten auf in Abend­lau­ben,
und über hun­dert schwar­zen Eisen­hau­ben schwank­te die Feld­schlacht wie ein Schiff.
So wur­den Städ­te lang­sam groß und fie­len in sich zurück wie Wel­len eines Mee­res,
so dräng­te sich zu hoch­be­lohn­ten Zie­len die rasche Vogel­kraft des Eisen­spee­res,
so schmück­ten Kin­der sich zu Gar­ten­spie­len,
und so geschah Unwich­ti­ges und Schwe­res, nur,
um für die­ses täg­li­che Erle­ben dir tau­send gro­ße Gleich­nis­se zu geben, an denen du gewal­tig wach­sen kannst.
Ver­gan­gen­hei­ten sind dir ein­ge­pflanzt, um sich aus dir, wie Gär­ten, zu erhe­ben.
Du blas­ses Kind, du machst den Sän­ger reich mit dei­nem Schick­sal, das sich sin­gen läßt:
so spie­gelt sich ein gro­ßes Gar­ten­fest mit vie­len Lich­tern im erstaun­ten Teich.
Im dunk­len Dich­ter wie­der­holt sich still ein jedes Ding: ein Stern, ein Haus, ein Wald.
Und vie­le Din­ge, die er fei­ern will, umste­hen dei­ne rüh­ren­de Gestalt.

Aus dem Hau­se Colonia

Ihr frem­den Män­ner, die ihr jetzt so still in Bil­dern steht, ihr saßet gut zu Pfer­de und unge­dul­dig gingt ihr durch das Haus;
wie ein schö­ner Hund, mit der­sel­ben Gebär­de ruhn eure Hän­de jetzt bei euch aus.
Euer Gesicht ist so voll von Schau­en, denn die Welt war euch Bild und Bild;
aus Waf­fen, Fah­nen, Früch­ten und Frau­en quillt euch die­ses gro­ße Ver­trau­en, daß alles ist und daß alles gilt.
Aber damals, als ihr noch zu jung wart, die gro­ßen Schlach­ten zu schla­gen,
zu jung, um den päpst­li­chen Pur­pur zu tra­gen, nicht immer glück­lich bei Rei­ten und Jagen,
Kna­ben noch, die sich den Frau­en ver­sa­gen, habt ihr aus jenen Kna­ben­ta­gen kei­ne, nicht eine Erin­ne­rung?
Wißt ihr nicht mehr, was damals war?
Damals war der Altar mit dem Bil­de, auf dem Maria gebar, in dem ein­sa­men Sei­ten­schiff Euch ergriff eine Blu­men­ran­ke;
der Gedan­ke, daß die Fon­tä­ne allein drau­ßen im Gar­ten in Mon­den­schein ihre Was­ser warf, war wie eine Welt.
Das Fens­ter ging bis zu den Füßen auf wie eine Tür; und es war Park mit Wie­sen und Wegen:
selt­sam nah und doch so ent­le­gen, selt­sam hell und doch wie ver­bor­gen,
und die Brun­nen rausch­ten wie Regen, und es war, als käme kein Mor­gen die­ser lan­gen Nacht ent­ge­gen, die mit allen Ster­nen stand.
Damals wuchs euch, Kna­ben, die Hand, die warm war. (Ihr aber wuß­tet es nicht.) Damals brei­te­te euer Gesicht sich aus.


YIN YANG GOLD