Rai­ner Maria Rilke

Nir­gends, Gelieb­te, wird Welt sein, als innen. Unser Leben geht hin mit Verwandlung.

Das musst du wis­sen, dass dich Gott durch­weht von Anbe­ginn. Das Gött­li­che. Ich bin dort gewe­sen, schon als Kind, und kom­me gehend davon her.

Prag

In Prag um 1900 gab es ein mor­pho­ge­ne­ti­sches Feld ers­ter Ord­nung. 
Eine alchy­mi­sche Ver­wand­lung ging vor sich in der Stadt Rudolfs II, der in sei­nem Labor auf dem Hradschin Gold gebar. 

Gus­tav Mey­rink spiel­te mit, Franz Kaf­ka, Rudolf Stei­ner kam zu Besuch. 

In die­ser mys­ti­schen Umge­bung wur­de am 4.12.1875 Rai­ner Maria Ril­ke geboren.

Rai­ner Maria Ril­ke (* 4. Dezem­ber 1875 in Prag, Öster­reich-Ungarn; † 29. Dezem­ber 1926 im Sana­to­ri­um Val­mont bei Mon­treux, Schweiz; eigent­lich: René Karl Wil­helm Johann Josef Maria Rilke)

Zum blau­en Stern

Die theo­so­phi­sche Loge „Zum blau­en Stern” wur­de 1891 in Prag gegrün­det und ihr gehör­ten etwa 10 Per­so­nen an. Rai­ner Maria Ril­ke war dabei.

Die Grup­pe, unter dem Vor­sitz von Karel Wein­fur­ter, traf sich regel­mä­ßig in einem Pra­ger Café oder der Woh­nung des Schrift­stel­lers Gus­tav Mey­rink. Durch magi­sche Expe­ri­men­te ver­such­te die Grup­pe einen höhe­ren Bewusst­seins­zu­stand zu erreichen. 

Jüdi­sches Viertel

Jose­fov (deutsch Josefs­stadt oder auch Joseph­stadt) ist ein Stadt­teil der Pra­ger Alt­stadt in Tsche­chi­en. Vom 13. Jahr­hun­dert bis 1848 befand sich hier die Juden­stadt, Židovs­ké Měs­to pražs­ké, das jüdi­sche Vier­tel von Prag. Mit der Ver­lei­hung der Bür­ger­rech­te an die Juden im Jahr 1848 zogen die­se häu­fig hier weg und die Gebäu­de ver­fie­len.

Prag war die Stadt der Alchimisten. 

Rudolf II. (* 18. Juli 1552 in Wien; † 20. Janu­ar 1612 in Prag) war Kai­ser des Hei­li­gen Römi­schen Reichs (1576–1612), König von Böh­men (1575–1611) sowie König von Ungarn (1572–1608) und Erz­her­zog von Öster­reich (1576–1608)….

Rudolf II. hat­te eine Lei­den­schaft für Okkul­tes und beson­ders für die Alche­mie mit einem eige­nen Labor auf dem Hradschin, das einen guten Ruf unter Alche­mis­ten hat­te.
Prag gehört zu jenen Städ­ten, die mit dem Lebens­werk Rudolf Stei­ners eng ver­bun­den sind. 

Prag war eines der ers­ten Zen­tren der anthro­po­so­phi­schen Bewe­gung über­haupt und kann für sich sogar in Anspruch neh­men, die außer­halb rein deutsch­spra­chi­ger Gebie­te von Rudolf Stei­ner am häu­figs­ten besuch­te Stadt gewe­sen zu sein.

Prag - Jüdisches Viertel

Prag – Jüdi­sches Viertel

Ich lebe mein Leben in wach­sen­den Ringen

Ril­ke such­te das „Gött­li­che“ nicht in fer­nen tran­szen­den­ten Him­meln, son­dern hier in der mate­ri­el­len Welt, in der Magie, in der Natur und in der Aura ein­fa­cher All­tags­din­ge, die er in einer unnach­ahm­li­chen Spra­che zu beschrei­ben wuss­te. Die Engel, so der Dich­ter, sind uns zwar viel­fach über­le­gen, aber sie kön­nen das „Gött­li­che“ nicht im Irdi­schen sehen.

Ich lebe mein Leben in wach­sen­den Rin­gen, die sich über die Din­ge ziehn. Ich wer­de den letz­ten viel­leicht nicht voll­brin­gen, aber ver­su­chen will ich ihn. Ich krei­se um Gott, um den uralten Turm, und ich krei­se jahr­tau­sen­de­lang; und ich weiß noch nicht: bin ich ein Fal­ke, ein Stur­mo­der ein gro­ßer Gesang.

Es wech­seln immer drei Gene­ra­tio­nen. Eine fin­det Gott, die zwei­te wölbt den engen Tem­pel über ihn und die drit­te ver­armt und holt Stein und Stein aus dem Got­tes­bau, um damit not­dürf­tig kärg­li­che Hüt­ten zu bau­en. Und dann kommt eine, die Gott wie­der suchen muss.

Ihr lip­pen­from­men Chris­ten Nennt mich den Athe­is­ten Und flieht aus mei­ner Näh; Weil ich nicht wie ihr alle Betö­ret in die Fal­le Des Chris­ten­tums geh.

1906 ver­öf­fent­lich­te Ril­ke das Buch der Bilder.

Das Buch der Bilder

Ril­kes Stimme

In wei­ter Modu­la­ti­on paß­te er (Ril­ke) sei­ne Stim­me dem jewei­li­gen Text an. Fast schrei­end und mit männ­li­cher Här­te kamen aus den Ele­gi­en die Wor­te der zwei­ten Ele­gie: „Jeder Engel ist schreck­lich“, anklin­gend an die Ein­gangs­zei­len der ers­ten: „Wer, wenn ich schriee, hör­te mich denn aus der Engel Ord­nun­gen und gesetzt selbst, es näh­me einer mich plötz­lich ans Herz: Ich ver­gin­ge von sei­nem stär­ke­ren Dasein. 

Denn das Schö­ne ist nichts als des Schreck­li­chen Anfang, den wir noch gera­de ertra­gen, und wir bewun­dern es so, weil es gelas­sen ver­schmäht, uns zu zer­stö­ren.“ Das Schreck­li­che der Engel, erklär­te er, lie­ge dar­in, daß sie im Gegen­satz zum Men­schen in einem Sein ohne Ver­gan­gen­heit, Gegen­wart und Zukunft leben. Ihm kom­me es aber ent­schei­dend dar­auf an, deut­lich zu machen, daß der Mensch, der Ver­gäng­li­che, von sei­ner ers­ten Stun­de an nicht nur lebe, son­dern auch lau­fend stür­be. Jede Stun­de sei zugleich Erfah­rung und Abschied. „Wol­le die Wand­lung“, „sei jedem Abschied vor­an“ las er mit beson­de­rer Betonung.

Rainer Maria Rilke

Ich krei­se um Gott, um den uralten Turm, und ich krei­se jahr­tau­sen­de­lang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Fal­ke, ein Sturm oder ein gro­ßer Gesang.

Rose, oh rei­ner Wider­spruch, Lust, Nie­man­des Schlaf zu sein unter soviel Lidern.
- Ril­kes Grabspruch

Ril­ke und die Frauen

Lou Andre­as-Salo­mé

Lou Andre­as-Salo­mé (gebo­re­ne Loui­se von Salo­mé; gele­gent­li­ches Pseud­onym Hen­ri Lou; in jun­gen Jah­ren auch Ljo­la von Salo­mé genannt) (* 12. Febru­ar 1861 in St. Peters­burg; † 5. Febru­ar 1937 in Göt­tin­gen) war eine weit­ge­reis­te Schrift­stel­le­rin, Erzäh­le­rin, Essay­is­tin und Psy­cho­ana­ly­ti­ke­rin aus rus­sisch-deut­scher Familie.….….

Als Lou Andre­as-Salo­mé im Früh­jahr 1897 von Ber­lin aus ihre Freun­din Frie­da von Bülow in Mün­chen besuch­te, wur­de ihr Ril­ke vorgestellt.….….….….…

Es folg­ten eini­ge gemein­sa­me Som­mer­mo­na­te in der Markt­ge­mein­de Wolfrats­hau­sen im Isar­tal nahe Mün­chen. Sie bewohn­ten drei Kam­mern in einem Bau­ern­haus und nann­ten die Unter­kunft „Louf­ried“. Als Lou Andre­as-Salo­mé zurück nach Ber­lin ging, folg­te Ril­ke ihr dort­hin. Er war 21 Jah­re alt. Andre­as-Salo­mé, die er als müt­ter­li­che Gelieb­te über­schwäng­lich ver­ehr­te, war 36. Auch sie war hef­tig ver­liebt, behielt aber, ihrem Wesen ent­spre­chend, gleich­zei­tig die Kon­trol­le über sich und die Situa­ti­on. Sie ver­an­lass­te ihn, an sei­nem sprach­li­chen Aus­druck zu arbei­ten, den sie als über­trie­ben pathe­tisch emp­fand. Ihrem Vor­schlag ent­spre­chend änder­te er sei­nen eigent­li­chen Vor­na­men René zu Rainer.

Sie mach­te ihn mit dem Den­ken Nietz­sches bekannt und lenk­te sein Inter­es­se auf ihre Hei­mat Russ­land; er lern­te Rus­sisch und begann, Tur­gen­jew und Tol­stoi im Ori­gi­nal zu lesen. Dies alles geschah vor­wie­gend in der engen Ber­li­ner Woh­nung des Ehe­paa­res Andre­as-Salo­mé. Ril­ke hat­te sich ganz in der Nähe ein­ge­mie­tet, hielt sich aber meist bei Lou Andre­as-Salo­mé auf, die in der Küche ihren Wohn- und Arbeits­raum hat­te, wäh­rend ihr Mann im Wohn­zim­mer arbei­te­te. Andre­as-Salo­mé stell­te bald fest, dass die inne­re Abhän­gig­keit des jun­gen, psy­chisch labi­len Dich­ters ihr gegen­über stän­dig zunahm – eine uner­wünsch­te Ent­wick­lung. So dräng­te sie ihn im Früh­jahr 1898 zu einer Ita­li­en­rei­se, auf der sie ihn nicht begleitete.

In den Jah­ren 1899 und 1900 unter­nah­men sie dann gemein­sam zwei Rei­sen nach Russ­land, die ers­te, kür­ze­re (25. April bis 18. Juni 1899) noch in Beglei­tung von Andre­as. Die zwei­te Rei­se dau­er­te vom 7. Mai bis zum 24. August 1900 und gilt als Wen­de­punkt in der Bezie­hung zwi­schen Andre­as-Salo­mé und Ril­ke (eine drit­te Rei­se wur­de für 1901 geplant, kam aber nicht zustan­de). Die Pfingst­wo­che ver­brach­ten bei­de in Kiew. Die star­ken Ein­drü­cke und Emp­fin­dun­gen die­ser Zeit sol­len ihren Nie­der­schlag in sei­nem berühm­ten Stun­den­buch gefun­den haben (geschrie­ben von 1899 bis 1903). Sie gaben ihm aber auch Anlass zu Wein­krämp­fen, zu „Angst­ver­fas­sun­gen und kör­per­li­chen Anfäl­len“, wie Andre­as-Salo­mé sich in ihrem Lebens­rück­blick erin­ner­te. Sie war erschro­cken und besorgt, ver­mu­te­te als Hin­ter­grund eine ernst­haf­te psy­chi­sche Erkran­kung. Wäh­rend eines Abste­chers im August 1900 zum Urlaubs­ort ihrer Fami­lie in Finn­land beschloss sie, sich von Ril­ke zu trennen. .….….….

Die lei­den­schaft­li­che Bezie­hung ging über in eine enge Freund­schaft, die bis zu Ril­kes Tod im Jah­re 1926 anhielt. 1937 erin­ner­te Sig­mund Freud in sei­nem Nach­ruf auf Lou Andre­as-Salo­mé dar­an, „dass sie dem gro­ßen, im Leben ziem­lich hilf­lo­sen Dich­ter Rai­ner Maria Ril­ke zugleich Muse und sorg­sa­me Mut­ter gewe­sen war“.

Cla­ra Westhoff

Cla­ra Ril­ke, geb. Cla­ra Hen­ri­et­te Sophie West­hoff (* 21. Novem­ber 1878 in Bre­men; † 9. März 1954 in Fischer­hu­de) war eine deut­sche Bild­haue­rin und Malerin.

Als Ril­ke im Früh­jahr in Flo­renz ist, lernt er dort den Künst­ler Hein­rich Voge­l­er ken­nen, der in Worps­we­de bei Bre­men mit Fritz Macken­sen eine Künst­ler­ko­lo­nie gegrün­det hat und befreun­det sich mit ihm. Voge­l­er läd Ril­ke ein, das Weih­nachts­fest mit ihm zu ver­brin­gen und Ril­ke bekommt dort, im soge­nann­ten „Bar­ken­hoff” Kon­takt zu der Bild­haue­rin Cla­ra West­hoff und der Male­rin Pau­la Becker, die eng mit­ein­an­der befreun­det sind.

Am 28. April 1901 hei­ra­te­te sie Rai­ner Maria Ril­ke, und sie zogen in ein Nach­bar­dorf Worps­we­des, nach Wes­ter­we­de. Dort hat­te Ril­ke ein Haus gekauft, für des­sen Innen­aus­stat­tung sein Freund Hein­rich Voge­l­er gesorgt hat­te. Im Dezem­ber 1901 kam die gemein­sa­me Toch­ter Ruth auf die Welt.

Im Som­mer 1902 gab Ril­ke die gemein­sa­me Woh­nung auf und zog nach Paris, um dort eine Mono­gra­fie über Augus­te Rodin zu ver­fas­sen. West­hoff folg­te ihm kur­ze Zeit spä­ter und brach­te die Toch­ter zu den Groß­el­tern. Den Win­ter 1903 ver­brach­ten sie in Rom in der Vil­la Strohl-Fern. Ril­ke wohn­te im „Stu­dio al Pon­te“, das ihm der Maler Otto Sohn-Rethel, ein Freund der Maler der Künst­ler­ko­lo­nie Worps­we­de, über­las­sen hatte.

Cla­ra West­hoff bewohn­te auf dem Gelän­de ein eige­nes Stu­dio in Sichtweite.

Sie brach den dor­ti­gen Auf­ent­halt ab, um zurück zu ihrer Toch­ter zu rei­sen. Die Ehe war jedoch zer­bro­chen, da Ril­ke offen­bar nicht für ein bür­ger­li­ches Fami­li­en­le­ben geschaf­fen war. Eine freund­schaft­li­che Bezie­hung zwi­schen Ril­ke und Cla­ra West­hoff blieb bestehen.

Por­trät des Rai­ner Maria Ril­ke von Pau­la Modersohn-Becker

Marie von Thurn und Taxis

1909 lern­te sie über de Noail­les und Kass­ner den Dich­ter Rai­ner Maria Ril­ke ken­nen und beher­berg­te ihn 1910 auf ihrem Schloss im böh­mi­schen Laut­schin. Mit dem ver­un­si­cher­ten Dich­ter unter­nahm sie Bil­dungs­rei­sen nach Wei­mar. Er wid­me­te der stren­gen, aber frei­gie­bi­gen Gön­ne­rin sei­ne Dui­ne­ser Ele­gi­en, die er begann, wäh­rend er 1911 bis 1912 auf ihrem Schloss Dui­no an der Adria­küs­te weilte.

Die Prin­zes­sin des Adels­ge­schlechts der Hohen­lo­he-Wal­den­burg-Schil­lings­fürst wur­de 1855 in Vene­dig gebo­ren. Sie war eines von fünf Kin­dern von Egon Karl Franz zu Hohen­lo­he-Wal­den­burg-Schil­lings­fürst (4. Juli 1819 – 11. Janu­ar 1865) und The­re­se Maria Bea­trix Grä­fin von Thurn-Hofer und Vals­as­si­na (12. Juni 1817 – 4. Novem­ber 1893). Sie genoss eine anspruchs­vol­le kul­tu­rel­le Aus­bil­dung und sprach sechs Spra­chen flie­ßend. Sie hei­ra­te­te 1876 Prinz Alex­an­der von Thurn und Taxis aus der böh­mi­schen Linie des Hau­ses Thurn und Taxis, mit dem sie drei Kin­der hat­te: Erich, Eugen und Alex­an­der, genannt Pascha.

Sie sam­mel­te Kunst­wer­ke, pfleg­te Bekannt­schaf­ten zu Künst­lern und unter­hielt einen exklu­si­ven Salon in Paris. So war sie bekannt mit dem Muse­ums­fach­mann Wil­helm von Bode, der Schau­spie­le­rin Eleo­no­ra Duse, dem Bal­lett­tän­zer Vas­lav Nijin­sky, die Dich­te­rin Anna de Noail­les, dem Phi­lo­so­phen Rudolf Kass­ner, dem His­to­ri­ker Hora­tio Brown.

1909 lern­te sie über de Noail­les und Kass­ner den Dich­ter Rai­ner Maria Ril­ke ken­nen und beher­berg­te ihn 1910 auf ihrem Schloss im böh­mi­schen Lautschin.

Mit dem ver­un­si­cher­ten Dich­ter unter­nahm sie Bil­dungs­rei­sen nach Wei­mar. Er wid­me­te der stren­gen, aber frei­gie­bi­gen Gön­ne­rin sei­ne Dui­ne­ser Ele­gi­en, die er begann, wäh­rend er 1911 bis 1912 auf ihrem Schloss Dui­no an der Adria­küs­te weilte.

Nach dem Tod des Dich­ters ver­öf­fent­lich­te sie ihre Erin­ne­run­gen an die Freund­schaft, die in zahl­rei­che Spra­chen über­setzt wur­den. Sie starb 1934 auf ihrem Schloss Lautschin.

Rainer Maria Rilke 1878

Ril­ke 1878

Offe­ner Brief von Ril­ke an Rudolf Steiner

Noch ein Wort über den Wert des Monologes

Sehr ver­ehr­ter Herr Doktor,

Ihre Bemer­kun­gen zu »Der Wert des Mono­lo­ges« sind tref­fend. Sie beschäf­ti­gen mich. Gewah­ren Sie mir noch ein paar Wor­te eng zur Sache:

Es scheint in der Tat, als ob ich dem »Wor­te« arg unrecht getan hät­te. Man darf nicht ver­ges­sen ich habe nicht an jene ein­sa­men Wor­te gedacht, in wel­che gehüllt, gro­ße Ver­gan­gen­hei­ten unter uns leben wie Zeit­ge­nos­sen. Das Wort des Ver­kehrs, das klei­ne, täg­li­che, beweg­li­che, habe ich beob­ach­tet, das im Leben wirkt oder doch zu wir­ken scheint und also auch auf der Büh­ne die Ent­wi­cke­lung der Ereig­nis­se hemmt und för­dert. An die­ses Wort den­ke ich, wenn ich behaup­te, die See­le hät­te nicht Raum in ihm. Ja es scheint mir gera­de­zu, als wären Wor­te sol­cher Art vor den Men­schen wie Mau­ern; und ein fal­sches, ver­lo­re­nes Geschlecht ver­küm­mer­te lang­sam in ihrem schwe­ren Schatten. 

Den­ken Sie an das Kind, wel­ches sich eines Ver­ge­hens schul­dig weiß; wird es schwei­gen? Unge­fragt wird es vie­le, vie­le hohe Wor­te vor sei­ne klei­ne, ban­ge, frie­ren­de See­le stel­len, um ihre Schan­de zu ver­de­cken. Und das end­li­che Geständ­nis ist: ein Trä­nen­strom. Beob­ach­ten Sie zwei Men­schen, die sich, jeder tief in Gedan­ken, auf einem ein­sa­men Spa­zier­gan­ge begeg­nen. Wie sie rasch mit berei­ten Wor­ten ihre nack­te See­le, die noch eine Wei­le in ihren Augen zögert, ver­de­cken und schüt­zen. Geden­ken Sie der Lie­ben­den, die sich in den Tagen des Fin­dens mit Wor­ten von­ein­an­der­drän­gen, ehe sie sich erken­nen im ers­ten Schweigsamsein. 

Fra­ge jeder sich selbst, ob auf den Höhe­punk­ten sei­nes Lebens Wor­te ste­hen? Ist es mit den Wor­ten nicht viel­mehr wie mit der Vege­ta­ti­on, die hin­ter der gro­ßen Pracht des Tals immer erns­ter, schlich­ter und fei­er­li­cher wird, je höher man steigt, bis das zag­haf­te Zwerg­holz zurück­bleibt, das die rei­nen fest­li­chen Fir­nen nicht zu betre­ten wagt? –

Jedes Wort ist eine Fra­ge, und das, wel­ches sich als Ant­wort fühlt, erst recht. Und in die­sem Sinn ist Ihre Bemer­kung rich­tig, daß die Wor­te, unver­mö­gend Offen­ba­run­gen zu geben, vie­les ahnen las­sen. Es steht also bei jedem, ein Wort weit oder eng, reich oder arm­se­lig zu füh­len; und das ist gut: »Du gleichst dem Geist, den du begreifst«.

Aber ist damit von der Büh­ne her, einer viel­sin­ni­gen Men­ge gegen­über etwas, oder sagen wir gleich – das, wor­auf es ankommt, näm­lich die ein­heit­li­che Wir­kung erreicht? – Und dann mit dem »Ahnen« über­haupt: war das nicht eine arme und ver­las­se­ne Welt, wel­che Gott ahn­te hin­ter den Din­gen? War das nicht ein müßi­ger Gott, ein Gott mit den Hän­den im Schooß, der so genüg­sam war, sich ahnen zu las­sen? Heißt es nicht viel­mehr ihn fin­den, ihn erken­nen, ihn tief in sich selbst schaf­fend, wie mit­ten in der Werk­statt über­ra­schen, um ihn zu besitzen?

So glau­be ich auch, daß wir uns nicht begnü­gen dür­fen, das hin­ter den Wor­ten zu ahnen. Es muß uns irgend­wann sich offen­ba­ren. Und in der Tat: Wer erin­nert sich nicht der Augen­bli­cke, da ihm die ganz armen, abge­nütz­ten Wor­te von gelieb­ten Lip­pen wie nie­be­rührt und zum ersten­mal und strah­lend vor Jugend ent­ge­gen­ka­men? Jemand sagt: »Das Licht«; und es ist, als ob er sag­te: »zehn­tau­send Son­nen«; er sagt: »der Tag« und du hörst: »die Ewig­keit«. Und du weißt auf ein­mal: Sei­ne See­le hat gespro­chen; nicht aus ihm, nicht durch das eine klei­ne Wort, wel­ches du mor­gen schon ver­ges­sen hast, durch das Licht, durch den Klang viel­leicht, durch die Land­schaft. Denn wenn eine See­le spricht, ist sie in allem. Sie weckt alle Din­ge auf, gie­bt ihnen Stim­men; und was sie gesteht, ist immer ein gan­zes Lied.

Damit hab ich auch ver­ra­ten, was ich im letz­ten Auf­satz als Fra­ge und unvoll­endet ver­ließ. Den Raum über und neben den Wor­ten auf der Büh­ne will ich für die Din­ge im wei­tes­ten Sinn. Die Büh­ne hat mir, um »rea­lis­tisch« zu sein, nicht eine (die vier­te) Wand zu wenig, son­dern eher drei Wän­de zu viel. Raum will ich für das alles, was mit teil­nimmt an unse­ren Tagen und was, von Kind­heit auf, an uns rührt und uns bestimmt.

Es hat eben­so­viel Anteil an uns als die Wor­te. Als ob im Per­so­nen­ver­zeich­nis stün­de: ein Schrank, ein Glas, ein Klang und das vie­le Fei­ne­re und Lei­se­re auch. Im Leben hat alles den­sel­ben Wert, und ein Ding ist nicht schlech­ter als ein Wort oder ein Duft oder ein Traum. Die­se Gerech­tig­keit muß auch auf der Büh­ne nach und nach Gesetz werden.

Mag sein, daß das Leben eine Wei­le lang in den Wor­ten treibt wie der Fluß im Bett; wo es frei und mäch­tig wird, brei­tet es sich aus über alles; und kei­ner kann sei­ne Ufer schauen.

Ich stel­le Ihnen, ver­ehr­ter Herr Dok­tor, anheim, ob Sie etwas von die­sen Erör­te­run­gen für Ihr gesch. Blatt ver­wen­den. Jeden­falls dan­ke ich Ihnen für die Anre­gung, die mir Ihre Notiz ver­mit­tel­te, und hal­te mich für ver­pflich­tet, Ihnen die Frucht der­sel­ben hier­mit zu überreichen.

In beson­de­rer Wertschätzung

Ihr ganz erge­be­ner Rai­ner Maria Rilke

Ril­ke – Mey­rink – Steiner

Die eigent­li­che Vor­aus­set­zung für die Ent­ste­hung der anthro­po­so­phi­schen Bewe­gung und des Wir­kens Rudolf Stei­ners in Prag war mit der Grün­dung der Theo­so­phi­schen Gesell­schaft geschaffen.

Die Theo­so­phie war im Jah­re 1891 nach Prag gelangt, und zwar durch den Baron Leo­nar­di von Sträz, einem Mit­glied der Wie­ner Loge, und durch sei­nen Freund, den Pra­ger Ban­kier Gus­tav Mey­er, der als Schrift­stel­ler unter dem Namen Gus­tav Mey­rink bekannt gewor­den ist – der berühm­te Ver­fas­ser des «Golem», des «Grü­nen Gesichts» und ande­rer okkul­ter Roma­ne und Novellen.


In Anwe­sen­heit von drei Wie­ner Theo­so­phen war im Jah­re 1891 die ers­te Pra­ger Loge unter dem Namen «Zum blau­en Stern» fei­er­lich gegrün­det wor­den. Sie zähl­te zunächst zehn Mit­glie­der, dar­un­ter drei Tsche­chen. Die füh­ren­de Per­son war Gus­tav Mey­rink, in des­sen Woh­nung in der Fer­di­nand­stra­ße 10 (heu­te Närod­ni tri­da) die Logen­zu­sam­men­künf­te stattfanden. 

Ande­re bedeu­ten­de Mit­glie­der waren die tsche­chi­schen Dich­ter Juli­us Zey­er und Ema­nu­el Les­eh­rad. Letz­te­rer hat unter ande­rem einen merk­wür­di­gen «Ver­such um die Geschich­te der Bru­der­schaft des Rosen­kreu­zes in Böh­men in Bezie­hung zur Unitas der Böh­mi­schen Brü­der» (Prag 1921, auf tsche­chisch) ver­faßt.

Wei­te­re Mit­glie­der waren der Graf Jan Har­r­ach, der Maler Gus­tav Miksch und der bekann­te Okkul­tist Karel Wein­fur­ter. Um die Ent­fal­tung der theo­so­phi­schen Bewe­gung in Prag hat sich beson­ders der Sekre­tär der Gesell­schaft, Alo­is Koch, ver­dient gemacht, der auch die ers­te tsche­chi­sche theo­so­phi­sche Zeit­schrift «Theo­so­fickä Revue» ins Leben geru­fen hat.


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